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 Betreff des Beitrags: Avishai Cohen - Seven Seas
BeitragVerfasst: Mi 9. Mär 2011, 09:36 
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Registriert: Di 31. Aug 2010, 11:05
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Avishai Cohen - Seven Seas

Ich höre gerade ganz besondere Musik, solche, der man spontan keine Vorbilder zuordnen kann, denn sie klingt sehr eigenständig in ihrer Gesamtheit. Und scheint man sich einmal nahezu festgelegt zu haben, bringt die nächste Veränderung bereits das gedankliche Gerüst wieder zum Einsturz.

Beim ersten Titel denke ich an die Musik der Siebziger, wie man sie von Chick Corea , Airto Moreira oder Flora Purim kennt. Ja, davon ist in der Tat etwas zu spüren - mit dieser absolut federleichten Anmut, diesem fast Dahingetupften. Aber mit knapp drei Minuten ist das nicht mehr als eine Ouvertüre. "About A Tree" will uns mit Pianoklängen weis machen, dass man nun in Richtung klassischer Musik marschieren könnte. Doch passt das nicht.
War es Avishai Cohen mit seiner letzten Platte, "Aurora", gelungen, die Hörerschaft dadurch zu überraschen, Gesangstitel mit einzubringen, so geschieht das auch hier. Bisher, also nach zwei Songs, fungiert die Stimme eher als Instrument; so hören wir ein zartes »Da Di Da Di Da Di Da«. Sehr ungewöhnlich, aber Bass- und Pianosoli zeigen uns dann, dass wir Jazz hören, und nichts anderes. Aber ganz besonderen, das ist beileibe weit entfernt von irgendwelchem 'Schubladenjazz'.

Fusion ist etwas, was es insofern recht gut trifft. Aber nicht jene Fusion, wie wir sie in Verbindung mit Jazz Rock kennen, sondern im wahren Sinne des Wortes, werden doch verschiedene Stilelemente und Kulturen auf sehr elegante und leichtfüßige Weise verschmolzen. 'East meets West' sozusagen: arabische, europäische und hebräische Einflüsse, und dazu noch gelegentlich die Rhythmik aus Afrika und/oder Brasilien.

Im Titeltrack wird es mitunter gar hypnotisch, viel Abwechslung bieten die fünfeinhalb Minuten, und kaum sind die vorbei, erleben wir Gesang in hebräischer Sprache, mit all der dieser Musik so oft innewohnenden Trauer und Melancholie ausgestattet. "Halah", mit Bläserarrangement, das dezent im Hintergrund bleibt und Raum bietet für den Einsatz der arabischen Laute, dem Oud.

Die Musik dieser Platte hat mich verzaubert, eine Zeitmaschine hat mich in vergangene Zeiten (oder in die Zukunft?) transferiert, oder bin ich im Märchenwald? Da könnte doch jederzeit der „Leprechaun“ auftauchen. Vielleicht hat Cohen das doch mitgenommen von seinem Förderer Chick Corea, der ja einst eine Platte mit diesem Titel veröffentlichte. Dessen Spuren vernehme ich auch auf "Staav", das darüber hinaus durch sein subtiles und manchmal ganz zartes Arrangement viel Abwechslung bietet.
Ich kenne den einen oder anderen ganz ruhigen Titel von Pat Metheny, den ich auch als Vergleich heranziehen könnte. Nahezu nahtlos geht das Stück über in "Ani Aff", das, getrieben durch federnde Cajonklänge und Gesang, einen ganz besonderen Charme versprüht, gerade dann, wenn noch die Bläser hinzukommen und diese genau so gespielt werden, dass sie mich spontan erinnern, wie die Band Chicago in ihrem Frühwerk die Bläser arrangierte.
Und dazu dieses nahöstliche Element, gepaart mit einer Art brasilianischem Feuer, bis schließlich die Oud wieder in '1000 und eine Nacht' entführt.

Ganz hervorragend ist es gelungen, auf dem Boden einer einheitlichen Grundstimmung derart viel Abwechslung einzubringen. Ständig gibt es, wenngleich auch manchmal zarte, Veränderungen und Wechsel innerhalb der einzelnen Titel. Hier war ein ganz großartiger Architekt am Werk, dieses Haus ist ein Palast der Gefühle geworden; mal wohnt ein Sultan darin, mal ein westlicher Fürst, doch immer bleibt es dabei 'Musik des Volkes': sehr gelungen.
Mir bleibt gar nichts anderes übrig, als einen Tipp auszusprechen, diese Musik ist für mich objektiv wie subjektiv absolut erstklassig! Als Bassist zeigt sich Cohen als sehr guter Musiker, der einerseits zurückhaltend agiert, dabei das Ganze mit sehr elastischem und weichem Spiel zusammenhält und einige sehr schöne kurze Soloparts beisteuert. Seinen Pianisten möchte ich an dieser Stelle noch lobend hervorheben.
Melancholie, Ruhe, Ekstase, viele Emotionen geben sich die Klinke in die Hand.

Dem in Israel geborenen und nach einer Zwischenstation in New York nun in Tel Aviv lebenden Cohen kann ich zu dieser reifen Leistung nur gratulieren. Ein gelungener Brückenschlag zwischen Ost und West. Und auch jenen Musikern, die seinen Weg seinerzeit ebneten und sicher auch förderten, allen voran Danilo Perez und Chick Corea.

Nach seiner ersten Platte, die er 1997 veröffentlichte, ist diese nun die zweite für das Label Blue Note und ich denke, man würde gut daran tun, diesen Musiker weiter zu fördern. Vielleicht steht Manfred Eicher von ECM bereits in den Startlöchern, denn auch dort könnte Cohen meiner Meinung nach eine passende musikalische Heimat finden.

Musiker:

Avishai Cohen (vocals, bass, piano - #1,#10)
Karen Malka (vocals)
Shai Maestro (piano)
Amos Hoffman (oud, electric guitar)
Itamar Doari (percussion, vocals - #9)
Jenny Nilsson (vocals - #2)
Jimmy Greene (soprano saxophone, tenor saxophone)
Lars Nilsson (flugelhorn)
Björn Samuelsson (trombone)
Björn Bholin (english horn)

Titel:

01:Dreaming (2:51)
02:About A Tree (6:52)
03:Seven Seas (5:23)
04:Halah (5:49)
05:Staav (3:33)
06:Ani Aff (4:33)
07:Worksong (2:45)
08:Hayo Hayta (6:22)
09:Two Roses (5:24)
10:Tres Hermanicas Eran (3:34)
(all songs written & composed by Avishai Cohen, except #2 by Mark Warshavsky, #9 by Mordechai Ze'Ira, #10 [trad.])


http://www.avishaimusic.com/

Wolfgang


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