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 Betreff des Beitrags: Re: Scott Walker - Tilt
BeitragVerfasst: So 12. Sep 2010, 20:25 
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TILT (Fontana 1995)

1. Farmer In The City 2. The Cockfighter 3. Bouncer See Bounce 4. Manhattan
5. Face On Breast 6. Bolivia 7. Patriot (A Single) 8. Tilt 9. Rosary

Bild

Nach CLIMATE OF HUNTER `84 dauerte es fast 11 Jahre, bis etwas Neues von Ihm zu hören war.
Im Jahr 1993 gab es zwar schon ein erstes Lebenszeichen von Ihm mit den Tracks MAN FROM RENO / INDECENT SACRIFICE, beide aus einem französischen Film und beide auch nur in Frankreich erhältlich, aber dies dürfte den meisten Walkerfans wie mir total entgangen gewesen sein. Und dabei gab es davon sogar ein Video mit dem heiligen Scott in Bomberjacke bzw am Schreibtisch.
Für mein Gefühl begann jetzt das, was man als Kult um Scott benannte. Jeder kannte ihn, jeder hatte seine alten Schallplatten im Schrank und überhaupt....
Er selber hielt sich von der Öffentlichkeit fern, was eine englische Zeitung sogar dazu verführte, ein Preisgeld für denjenigen auszusetzen, der ein aktuelles Photo von ihm präsentieren konnte. Was letztlich dabei rauskam, war ein auf einem Fahrrad flüchtender Scott mit tief ins Gesicht gezogenem Basecape und Brille. Naja...
Jedenfalls, ich war ganz aufgeregt, nach so langer Zeit wieder etwas Neues von meinem Idol zu hören, natürlich auf Vinyl !
Mit Farmer in the City konnte ich noch leben, obwohl ich da schon meine Probleme mit seiner Stimme bekam. Aber der Rest der Platte erschloß sich mir nicht und hat es bis jetzt auch noch nicht geschafft. Man soll nicht sagen, ich hätte mich nicht bemüht und die Kritiker überschlugen sich ja geradezu in Lobeshymnen. Aber die Platte ist für mich, wie soll ich es sagen, von vorn bis hinten Kopflastig. Nur, sie zwingt mich zum Hinhören der Töne und Wörter, läßt bei mir aber nichts entstehen. Es gibt Musik, da geht im Gehirn das Kopfkino an, hier bleibt bei mir der Vorhang zu. Die Texte sind für mich so kryptisch, da ist der Steppenwolf geradezu trivial.
Mit anderen Worten: Bestimmt große Kunst, nur ich verstehe sie nicht.
SORRY ! :oops:


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 Betreff des Beitrags: Re: Scott Walker - Tilt
BeitragVerfasst: Mo 13. Sep 2010, 11:46 
Dazu etwas von der geschätzten Jutta Koether (SPEX Mag.), deren Meinung ich mich uneingeschränkt anschließe:

»Tilt« ist ungehörter, begnadeter, bewegender Manierismus, der mich zum ersten Mal ohne Jahrtausendwendekitsch an 2002 denken können läßt. Denn »Tilt« ist ein Beweis dafür, daß Pathos noch einmal als Erinnerung an das Lied, das bestimmte Gefühle zum Ausdruck brachte, gedacht werden kann. Diese Erinnerung wird geöffnet für eine Zukunft. Ganz direkt, in den Kompositionen, den Worten, der Stimme von Scott Walker. Bis ans Äußerste gefiltert durch Zweifel, selbst das »Dennoch« ist gebrochen. Daß man den Hauch einer Aura bekommt, von der man sich streifen lassen kann, daß man in jedem Moment vom Masochismus verfolgt wird (dem eigenen und dem des Künstlers), verdeutlicht, daß hier Schönheit nur im Widersprüchlichsten gedacht und aufgeführt wird. Ja, überhaupt entwendet dieser Künstler ihre Rhetoriken und macht sie (auch ihre Geschichte mitinbegriffen) in seiner Musik neu fühlbar, macht Musik als Dichtung neu erinnerbar. Und weil dies hier in einer unglaublichen und unnachahmlichen und ungehörten Weise auftritt, ist es schwer, im Augenblick der Präsenz andere Ansätze, die Kategorie (guter) SONG, mit bescheideneren Mitteln zu verteidigen, angemessen zu verfolgen. Walker setzt eine Ernsthaftigkeit in die Schönheit seiner Lieder, die Witze, Hipness, Zynismus einfach abgleiten lassen. Indem das Unmögliche, fast Unanhörbare gesetzt wird, ist man eingesogen in dieses zerbrechlich geschichtete Monster von Platte. Seit seiner letzten Platte und das war 1984 (!) - hat sich Scott Walker noch mehr dekontextualisiert, und das so Fragmentierte handelt auch noch nicht einmal mehr von seiner früheren Geschichte oder überhaupt von etwas Persönlichem. Daß hier etwas so Irritierendes entstand, eine komplexe »Privatsprache« (musikalisch und auch lyrisch) mit unpersönlichen, aber wiederum abstrahierten Inhalten gefüllt ist und als »zeitlose« Musik erscheint, ist ungewöhnlich. Walkers Stimme war schon immer weit außerhalb des Zeitgeschmacks, aber mit »Tilt« hat er sich noch weiter abgekoppelt. Vom Crooning weg, vom AUSDRUCK weg, von seiner Liebe zu Jaques Brel, dem abgerundeten Chanson weg. Was er hier macht, ist komplett dekonstruierter Existenzialismus. Beim Anhören dieser Platte haben mir die Freunde von hinten so manches »Oh, was hörst denn du? Pavarotti?« zugerufen. Das sind die Momente, wenn es opernhaft wird auf dieser Platte, aber auch dies ist ein Bruchstück unter vielen, eines von all den extrem sich wiedersprechenden Impulsen auf »Tilt«. So aufgedonnert an einem Punkt, der Abgrund, und unter dem Abgrund im nächsten Stück. Extremer, präziser und sparsamer Gebrauch von Drums und winzige, aber prägnante Auftritte von Percussion-Einheiten überziehen die Platte wie ein feines Netz. Auch ist sie geädert von einem religiösen Gespinst, angefangen mit einem sehr leisen Glöckchen (tibetanisch?), das zum Beginn der Platte sachte vorschreibt, wie laut (und damit auch, wie sehr man die Wallungen, wenn sie kommen, sich reintun muß) dieses Werk angehört werden soll, über das Auftauchen des Ich-als-Heiliger in »Bolivia '95«, die Aufforderung zum Gebet in »Tilt«, bis hin zu den letzten Worten im letzten Stück, »Rosary«: »And I gotta quit, and I gotta quit«. Wahrscheinlich ist auch das ernst gemeint, als letztes Bild. Das schwarze Bild? Nein, kein Drama (höchstens sehr ausgeklügeltes Avantgarde-Drama) wird hier gespielt. Eher ist »Tilt« ein Soundtrack zu diesem Problem, ist Soundtrack zu den Möglichkeiten des >letzten Mals<, wissend, daß es da auch nicht nur das eine gibt, gegeben hat. Ad Reinhardts, Paul Celans und Ian Curtis' letzte Male oder das literarisch ausgefaltete von Samuel Beckett. Die Tode, die überhöhte Enden waren. »Tilt« ist wie eine Zusammenfassung der Weisen, die Dichter über 20.-Jahrhundert-Verzweiflungen anboten. Eine intensive Irrerei findet hier statt. Und ich habe nicht zählen können, wie viele Male die Platte für Sekunden in diesem schwarzen Loch versiegt, um sich dann wieder zu erheben. »Tilt« ist nicht statisch, sondern bewegte Fragmentierung, gleitendes Zerfetztes. Nicht der Körper in gestückelten Teilen, sondern die Stimme, die Gedanken, die Gefühle in ausgeklügelten Fassungen von Fassungslosigkeit. Es gibt ebensowenig berechnende Pose, wie es die letzten Bilder von Mondrian nötig hatten, berechnend zu sein. Und auch sie waren ein Modell aus Modernismus, das nicht starr war, sondern sich tatsächlich in Bewegung auflöste (Boogie Woogie, New York I und II). Es soll »Tilt« hier kein Ewigkeitsanpruch angehängt werden. Aber eine in diesem Werk steckende Herausforderung, ob es nicht doch so etwas gegeben haben sollte wie ein Modell vom Moment des sich in Produktives verkehrenden Kulturpessimismus. Das wäre nicht falsch. Das denkbar unkommerziellste, klaustrophobischste, fragmentarischste Stück von »Tilt« ist »The Cockfighter«. Man weiß nun wirklich nicht mehr, was diese teils fast erstickende Avantgarde-Torch-Gesänge wollen, wohin sie gehen mit ihrem minimalen industrialhaften, aber sich ebenso an zeitgenössischen Produktionen (wie etwa denen von Portishead) orientierenden Sound, der aber statt harmonisch sich zu fügen, sich in weiße Geräuschfetzen wandet. In dem Text findet man Satzteile aus dem Eichmann-Prozess. »Relocated« seien diese Worte, steht auf dem Textblatt. Ich hoffe auf eine Exegese dieses, aber auch aller anderen Texte seitens entsprechender Fachkräfte! (Einsendungen werden aufmerksam gelesen). »Farmer In The City«, das Auftaktstück, ist das zugänglichste. Während der Rest in Schwarz bis tiefstem Tiefschwarz verharrt, ist dieses Stück blitzendes Dunkelgrau. Ursprünglich ein Soundtrack-Song für den Film »Der Mann aus Rio«, wurde es, versehen mit dem Untertitel »Remembering Pasolini«, neu aufgenommen. Hier, wie an einigen anderen Stellen, finden sich anschwellende Orchestrierungen, Klänge, die von klassischen Musikern erzeugt werden. Auch durch die anderen sieben Songs - von denen außer »Rosary« keiner unter 5 Minuten lang ist - zieht man durch ein nicht kartographiertes Gebiet aus symphonischen Resten, zum Bersten aufgeladenen Introvertiertheiten. Nichts ist normal, nichts selbstverständlich. »Tilt« wird zum Emblem für den hermetischsten Pop dieser Zeit. Und selbst in seinem eigens gesteckten Kosmos stellt er nochmal einen Bruch her, indem Walker die beiden extremsten Stücke an den Anfang gestellt hat. Der Rest ist eben nicht Schweigen, sondern ein seltsamer Abgang (meta-orpheisch!), ein komponiertes Schwingen des Vorhangs, so final und so grenzenlos.


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 Betreff des Beitrags: Re: Scott Walker - Tilt
BeitragVerfasst: Mo 13. Sep 2010, 12:41 
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Schön geschrieben und wird wohl auch stimmen.
Trotzdem verstehe ich es nicht. Sorry.


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 Betreff des Beitrags: Re: Scott Walker - Tilt
BeitragVerfasst: Di 14. Sep 2010, 11:27 
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Die wunderbare Beschreibung von Jutta K. ist für mich eine Aufforderung, mich nach langer Zeit doch wieder mit diesem Werk zu beschäftigen, wobei mir als einziges "Farmer in the City" noch im Ohr herumspuckt ... nee, halt, auch noch "Bouncer". Gerade habe ich in die Hörbeispiele vom amazon reingehört und bin begeisterter als jemals zuvor. Also kommt die CD gleich in den Player :P . Da haben meine ProgRock-Freunde von Porcupine Tree, Oceansize & Co. zwischenzeitlich gute (Vor-)Arbeit geleistet.


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 Betreff des Beitrags: Re: Scott Walker - Tilt
BeitragVerfasst: Di 14. Sep 2010, 12:23 
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Gerd.... :shock:


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 Betreff des Beitrags: Re: Scott Walker - Tilt
BeitragVerfasst: Di 14. Sep 2010, 13:52 
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Ich kenn mich ja selbst nicht wieder :mrgreen:


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 Betreff des Beitrags: Re: Scott Walker - Tilt
BeitragVerfasst: Di 14. Sep 2010, 15:43 
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zur Ergänzung:

meine Meinung am 5.5.2006:


Nach „Climate Of Hunter“, aus 1984, endlich wieder ein Lebenszeichen:

TILT, 1995 erschienen.


Über diese Veröffentlichung ist schon einiges geschrieben worden und hat zu so mancher Kontroverse geführt.

Es ist nicht einfach, sich hiervon zu lösen, denn zwischen Erhebung zum Kultobjekt, Verriss und Versuchen, die Musik und ihre Aussage zu deuten, gab es wohl schon alles.

Darum will ich mich bei und für diese Rezension einfach einmal von persönlichen Gefühlen leiten lassen.

In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an ein Gespräch, das ich einmal bei einem Konzert eines Free-Jazz-Musikers belauscht hatte.

Ich bemerkte, dass einige Zuhörer in der Pause fragten, welche konkrete Aussage er denn mit dem, was er da auf der Bühne bot, treffen wolle.

Erstaunt darüber antwortete dieser, er habe gar keine Absicht gehabt, hier konkrete Aussagen, seien es politische oder anderweitig gesellschaftliche, auszudrücken, sondern sein Spiel sei einfach spontan von den Gedanken und Empfindungen geprägt, die er im Augenblick des Spieles habe.

Und wenn der Zuhörer dann die Möglichkeit und „den Draht“ habe, diesen zu folgen, dann könne er auch verstehen, was er ausdrücken wolle.

Diese Aussage habe ich zum Anlass genommen, diese Scott Walker-Musik auf mich einwirken zu lassen, und unter diesem Hintergrund soll diese Betrachtung dann auch erfolgen.

Walker selbst sprach in einem Interview von einem Vergleich der Betrachtungsweise seiner Musik zu Gil Evans, dem großartigen Jazzarrangeur, und bemerkte, dass er, ähnlich wie Evans, möchte, dass das Orchester atmet und den freien Raum nutzt.

Grundsätzlich ist zu dieser Musik anzumerken, dass sie sehr schwer zugänglich ist, da sie von vertrauten Klangmustern abweicht, sich keinen allgemein gängigen Strukturen unterwirft und verstörend wirkt. Zunächst wirkt alles erst einmal sehr düster, sehr morbide, Angst einflößend.

Die Texte wirken auf den Leser dann auch sehr rätselhaft, sehr tiefgründig und lassen viel Raum für individuelle Interpretation.
Meines Erachtens greift Walker hier eindeutig Themen des literarischen Dramas und des Chansons auf.
Hier verarbeitet er verschiedene Themen, z.B. über Bombenkriege oder den Tod von Pasolini, dem italienischen Filmemacher.

Ich habe den Eindruck, dass er seine Texte als „Vehikel“ benutzt, um darauf die Musik spontan aufzubauen, denn nach eigenen Aussagen wurde versucht, das ganze so live wie möglich einzuspielen. Dieses würde auch einen Teil der entstandenen Musik gut erklären.

Doch bevor man sich den Texten zuwendet, wird man von der Musik ergriffen und ich werde einmal „auf diesen Zug aufspringen“ und einige Runden mitfahren.

Zu den Stücken im einzelnen:


Farmer in the city:

"Do I hear 21", unterlegt mit einem drohnenhaften Ton, lässt uns schon sogleich stutzen.
Streicher setzen ein, ich erinnere mich an Sibelius, an Grieg...
SW als Opernsänger? Im Gegensatz zu früher singt er hier jedoch schon eher verhalten, zurückgenommen, bisweilen scheint er einen "Klops im Hals" zu haben.
Hohe Dramatik bestimmt das Stück mit einer doch sehr betonten Ruhe, da die Streicher für mich romantisch verklärt die Stimmung tragen. Das Stück bohrt sich in die Seele, aber angenehm. Es ist plötzlich viel zu kurz, nach 6'37'' beendet.

The Cockfighter:

sehr verstörend, unheimlich, die kämpfenden Hähne scheinen sich voller Unruhe auf ihren Kampf vorzubereiten, bis plötzlich unvermittelt nach 1'25'' schockmässig programmierte "industrial sounds" auf den Hörer lospeitschen. Es folgt eine ruhige Struktur mit dem Rhythmus echter drums, bis es dann wieder losprescht, aber wieder anders, mit Bläsern, die teils dissonant einsetzen. Wieder Ruhe, wieder Unruhe, Stimmen aus dem Jenseits, Sprache, die rückwärts zu laufen scheint. Dann ein Gitarrensolo aus dem Nichts, unerwartete Harmonie einleitend. Aber nicht lange. Eine sehr intelligente Komposition, sehr mitreißend...

Bouncer See Bouncer:

noch "entfernter" von der "Normalität" wird es jetzt. Als Hintergrund eine nervende Pauke, die das Gefühl von Angst und Bedrohung erzeugt. Darüber seltsame Geräusche, von einem "hurdy gurdy" erzeugt. Heuschrecken sollen hier wohl simuliert werden.
Das vielleicht bedrohlichste Stück, zu dem ich am schwierigsten einen Zugang finde.
Eiskalt wirkt das alles, bis sich nach 4'40'' eine Tür zu öffnen scheint und einen paradisischen Augenblick erklingen läßt, bis die böse Pauke wieder kommt und alles zunichte macht.
Angsteinflößend!

Manhattan:

Die mächtige Orgel erinnert an "Archangel" von den Walker Brothers. Dieses Stück scheint sich ständig in Auflösung zu finden, es passiert einiges, afrikanische Rhythmen unterbrechen, das Thema wird wieder aufgenommen, viel Unruhe und Hoffnung scheinen sich hier abzulösen. Ängste, Hoffnungen, die sich dem Einwanderer in Manhattan vielleicht gezeigt haben.(?)

Face on breast:

So könnte auch ein Stück von Peter Gabriel beginnen. Langsam entwickelt sich über Gitarrentönen und dumpfen Trommeln eine Struktur, eine melancholische Stimmung baut sich auf.
Mit diesem Stück kann man sich durchaus "anfreunden" und ich halte es für das zugänglichste der CD.

Bolivia ‘95:

Leicht südamerikanische Klänge zu Beginn, die dann aber wieder einem strikt unflexibel geschlagenen Rhythmus weichen, bis leichte Perkussionsgeräusche das Stück wieder in Schwingung versetzen. Man spürt eine Leichtigkeit, aber auch große Ernsthaftigkeit.
Musikalisch geht das für mich auch wieder in Richtung Peter Gabriel. Relativ zugänglich und weitaus weniger kompliziert als die ersten Stücke der CD.
Es ist auch weniger "verstörend", wenngleich auch ein plötzlicher Wechsel der Stimmung mit "sägender" Gitarre einen die Harmonie sprengenden Wechsel bringt.

Patriot:

Scott's Stimme "schwebt" hier über Streichern. Das kommt wie ein Chanson vom Feinsten.
Ein Stück, daß sich auch abhebt von den übrigen. Hier erlebt die alte "Dramatik" der Walker Brothers für mich eine kleine Renaissance. Zumindest hält dieser Zustand für etwa 2'30'' an, denn dann wird die Harmonie sanft unterbrochen. Aber insgesamt das für mich schönste der CD.

Tilt:

Ein schon fast "normales" Stück. Vielleicht der "Hit" der CD?
Normale Harmonien bestimmen den Ablauf. Ein herrlich verdrehtes Gitarrensolo ist das "Sahnehäubchen". Hier dürfte der Hörer nicht all zu sehr verschreckt werden, wenngleich sicher das übliche Hörverhalten nicht als Maßstab gesetzt werden sollte.

Rosary:

Scott spielt Gitarre, d.h. irgendwie scheint er im Hintergrund "zu klimpern".
Hier wieder der leichte Hauch des Unheimlichen, Düsteren, das Lied treibt.
Zum Ausklang verabschiedet sich Scott mit "...and I gotta quit"....


Ich denke, dass viele, die sich der Platte genähert haben und den Zugang nicht fanden, die Stücke besser in umkehrter Reihenfolge hätten spielen sollen, denn die vielleicht anfänglich verstörende Atmosphäre baut sich nach und nach ab. Man ist hinterher nicht mehr so angestrengt, sondern hat das Gefühl, hier etwas wirklich Außergewöhnliches und Einzigartiges gehört zu haben, dass nach mehr verlangt.
Keine so sperrige Musik, wie hier so oft behauptet wird. Sperrig nur für jene, die sich sperren!

Die Musiker, grundsätzlich auf den Titeln:


· Scott Walker – Vocals
· Ian Thomas – Drums
· John Giblin – Bass
· Brian Gascoigne – Keyboards
· David Rhodes – Guitars ( # 1- 8)

Dazu bei den einzelnen Stücken noch zusätzliche Instrumentierung, siehe hier:


1. Farmer In The City (6:38)
(Arranged By [Strings], Conductor [Strings] - Brian Gascoigne Lute [Chittaroni] - Elizabeth Kenny Oboe - Roy Carter (2) Strings - Sinfonia Of London* )
2. The Cockfighter (6:01)
( Celesta, Organ - Brian Gascoigne Guitar - Hugh Burns Horns, Reeds - Andrew Cronshaw Percussion - Alasdair Malloy , Louis Jardim* )
3. Bouncer See Bouncer… (8:50)
(Clarinet - Roy Jowitt Drum Programming [Prog Bass Drum] - Peter Walsh Flute - Jonathan Snowden Flute [Bass] - Andy Findon* , Jim Gregory (2) Oboe - Roy Carter (2) Orchestrated By [Woodwind], Organ - Brian Gascoigne )
4. Manhattan (6:05)
(Concertina - Andrew Cronshaw Organ - Brian Gascoigne Percussion - Alasdair Malloy , Louis Jardim* )
5. Face On Breast (5:15)
( Drums [Bass Drum On Lap And Kit All At Once] - Ian Thomas Organ [Hammond] - Colin Pulbrook Whistling - Peter Walsh , Scott Walker )
6. Bolivia '95 (7:44)
( Cimbalom - Greg Knowles Guitar - Hugh Burns Percussion - Alasdair Malloy , Louis Jardim* ) Reeds [Ba-wu Flute] - Andrew Cronshaw
7. Patriot (A Single) (8:28)
( Drums [Military Bass Drum], Cymbal - Ian Thomas Orchestrated By [Strings], Conductor [Strings] - Brian Gascoigne Piccolo Flute - Jonathan Snowden Strings - Sinfonia Of London* )
8. Tilt (5:13)
9. Rosary (2:41)
(Guitar - Scott Walker )


Wolfgang


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 Betreff des Beitrags: Re: Scott Walker - Tilt
BeitragVerfasst: Fr 1. Jul 2016, 12:23 
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Registriert: Do 18. Jun 2015, 11:16
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Ich kann nicht oft genug betonen, wie hilfreich es sein kann, wenn man den Walker der letzten Jahrzehnte in seinen visuellen Kontext setzt. (Man sollte in seinen Seh- und Hörgewohnheiten das Bild und den Ton auch nicht zu weit voneinander getrennt halten.) Wenn man sich mit gut gemachter Science Fiction/Filmkunst Horror/Fantasy/Mystery etc. anfreundet, findet man einen ganz leichten Zugang zu Alben wie Tilt. (Vermutlich leichter als mir beispielsweise der Zugang zu Folkmusikern wie Bob Dylan fällt ;-) Zudem muss man auch die Zeit berücksichtigen, in der Tilt entstand. Mitte der 90er klang jeder Pop/Rock Musiker, der was auf sich hielt nach dem angesagten Trip Hop (Massive Attack, Portishead, Tricky, Björk und Co.) Von Madonna bis Herbert Grönemeyer, von Tina Turner bis U2, von Sting bis Depeche Mode (David Bowie sowieso), sie alle bedienten plötzlich schleppende, monoton wuchtige Bässe, schwermütig dichte, zumeist düster geartete Grundstimmungen (bei den jeweiligen Künstlern natürlich in unterschiedlich starker Ausprägung.) Tilt bildet da keine Ausnahme, aber natürlich findet man diese zeitliche Charakterisik dort in ihrer dunkelsten Form wieder. Dennoch ist es für den Zeitgeist der spannenden Pre-Millennium Jahre kein so untypisches Außenseiteralbum, wie aus heutiger Sicht gerne dargestellt wird, im Gegenteil, in der damaligen Independent-Musikszene galt Tilt vermutlich als überaus hipp (sofern dieses Modewort vor 20 Jahren gebraucht wurde ;-) Ich hatte Tilt damals in einer Reihe mit Stina Nordenstams Dynamite Album und Andrea Parkers Kiss My Arp gehört und da fiel Walkers moderner Sound für mich nicht großartig aus der Reihe. Für Walker war Tilt sicherlich der entscheidende kreative Befreiungsschlag, der Wegbereiter, für das was noch kommen sollte. Der wirklich revolutionäre "Schocker" folgte (in meinen Ohren) dann erst in den identitätslosen 2000ern!


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 Betreff des Beitrags: Re: Scott Walker - Tilt
BeitragVerfasst: So 5. Nov 2017, 15:13 
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Registriert: Fr 28. Okt 2016, 19:02
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Der Knaller von 1995

https://www.discogs.com/de/Scott-Walker ... ster/68203


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